Was Politik und Streit in Berlin auch für Hannover und das Land bedeuten.
Im Gegensatz zu manch anderem Mitglied der WASG in Hannover bin ich bekanntermaßen der Meinung, dass genau die in einigen der letzten Beiträgen angesprochenen strittigen Punkte des Verhaltens der Linkspartei in verschiedenen Landesregierungen und hier besonders in Berlin VOR der Bildung einer „neuen Linken“ wenigstens kontrovers diskutiert und wenn notwendig korrigiert werden sollten. Denn sie sind nicht nur ein lokales Problem der Berliner WASG und unserer dortigen Freunde der Linkspartei, sondern zeigen den wirklich Bedarf für einen langfristig und breit angelegten Diskussionsprozess auf. Das trotzdem auf kommunaler Ebene hier vor Ort in Hannover die Zusammenarbeit mit der Linkspartei zur Bundestagswahl hervorragend und vertrauensvoll funktionierte und die Arbeiten zur Kommunalwahl gemeinsam auf einem guten Weg sind, sollte uns allen Mut machen, aber nicht den Blick für noch sehr intensiv zu besprechende Probleme trüben.
Hier mit den nicht abwendbaren Sachzwängen der realen Politik zu argumentieren greift deutlich zu kurz. Wir als WASG stehen in unserem Selbstverständnis und in unserem politischen Handeln für eine klare Ablehnung neoliberaler Politik und ziehen daraus Konsequenzen für unsere weiteren politischen Forderungen in den Kommunen, im Land und auf Bundesebene. Eine Kürzung sozialer Leistungen, ein Abbau von Arbeitnehmerrechten, Privatisierung von Gemeineigentum und Lohndrückerei können und dürfen nie zu den von uns tolerierten Maßnahmen gehören.
Wenn ich lese, dass der Berliner Senat das Blindengeld aus Sparzwängen kürzt, wir dann aber gleichzeitig als WASG in Hannover gegen die Abschaffung des Landesblindengeldes hier in Niedersachsen protestieren passen Wunsch und Wirklichkeit in einer möglichen gemeinsamen Partei nicht mehr zusammen. Die etablierten Parteien haben eine lange Tradition im Abgeben von leeren Versprechungen, die dann kaum ist man gewählt worden und steht in Amt und Würden wieder unter dem Druck der Realität einkassiert und oftmals ins genaue Gegenteil verkehrt werden. Bei den laufen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und der Union erleben wir dieses gerade wieder.
Genau dieses Verhalten darf eine wirklich neue und demokratische linke Kraft nicht zeigen, wenn sie dauerhaft und nachhaltig Erfolg haben will. Wir müssen den Menschen wieder das Vertrauen in die Politik und in die Möglichkeit einer wirklich sozialen Gestaltung des Miteinander zurückgeben. Dazu gehört 100% Ehrlichkeit in unseren Aussagen. Wir fordern z.B. das Ende des erpresserischen Lohndumpings. Eine klare Ansage für den Wähler. Dann kann es aber nicht sein, dass wir zu genau diesem Lohnraub der in Berlin auch von der Linkspartei in scharfer Form durchgeführt wird schweigen und um der lieben Einheit der Linken willen dieses Verhalten quasi legitimieren. Oder wollen wir am Ende gar in einer möglichen Regierungsverantwortung neoliberale Politik am Morgen durchführen und dann am Abend dagegen selber auf der Strasse protestieren? Das kann es nicht sein. Und dafür sind wir als WASG nicht angetreten. Wenn wir hier schon die ersten faulen Kompromisse eingehen um endlich – wie es so schön im Kommentar von Michael heißt – an die Schalthebel der Macht zu gelangen (oder meinte er die gefüllten Fleischtöpfe?), dann ist das Projekt einer neuen und starken linken Alternative zu bislang herrschenden Politik schon gestorben bevor es geboren wurde. In einigen Berufssparten nennt man so etwas DOA oder ausgeschrieben Dead On Arrival. Etwas ist tot, wenn es an seinem Bestimmungsort – in diesem Falle der Regierungsverantwortung – ankommt. Solche Kompromisse unter dem vermeintlichen Druck des Zwanges endlich an die Gestaltungsmacht durch Koalitionen zu kommen, bedeuten unweigerlich das programmierte Scheitern auch dieses Versuches eine neue linke Kraft in Deutschland zu etablieren.
Warum dieser Druck? Warum wird plötzlich damit argumentiert, dass man im Jahr 2009 auf Bundesebene koalitions- und regierungsfähig sein sollte? Warum sollte diese Annahme dann nicht auch auf kommunaler Ebene gelten? Wird demnächst verlangt, unsere kommunalen Forderungen so kompatibel und indifferent zu formulieren, dass eine Ablösung von Rot-Grün durch eine sich an den harten Realitäten des Sparzwanges im Haushalt orientierende WASG/Linkspartei/CDU Koalition möglich wird? Das kann es doch nicht sein. Ist der Wunsch endlich auch „oben“ anzukommen schon so groß, dass man die Gründe, die zur Entstehung der WASG geführt haben vergisst und unsere berechtigten Forderungen einfach so über Bord wirft? Hauptsache mitregieren können und den Zusammenschluss mit der finanzkräftigen Linkspartei in trockene Tücher bringen? Und dann ab ins Regierungsboot und endlich Steuermann spielen? Der Weg an die Macht auch unter Verleugnung der Grundsätze für die man noch vor kurzem auf die Strasse ging? Ich denke, die meisten WASGler können sich diese Fragen selbst ganz gut beantworten. Unsere Wähler und Sympathisanten stehen jetzt in Zukunft auch und gerade wegen unserer klaren Haltung gegen die herrschende Politik zu uns. Wir sollten sie nicht auch noch enttäuschen.
Wenn wir mit der WASG, der Linkspartei und anderen gesellschaftlichen demokratischen Kräften eine neue linke Alternative aufbauen wollen, dann können wir nur mit Ehrlichkeit in Worten UND Taten auf Dauer überzeugen. Dies sollte in diesem Diskussionsprozess, der nicht nur Berliner Landespolitik betrifft, auch und gerade die Linkspartei dort verstehen wo sie schon in Regierungsverantwortung steht und mitgestaltet. Ich selber wünschte mir statt dem Festhalten an den so schönen und reich verzierten Schalthebeln der Macht durch einige Landesverbände der Linkspartei und dem unbändigen Drang an diese Schalthebel durch einige Mitglieder der WASG eher ein klares und deutliches Bekenntnis zur Abkehr von dieser unglücklichen neoliberalen Politik und dem üblichen Polittheater der etablierten Parteien. Eine wirkliche neue linke Kraft die in Deutschland tatsächlich momentan die Chance hat aus WASG, Linkspartei und anderen Gruppen zu entstehen kann und darf nicht die bislang gemachten Fehler der anderen Parteien wiederholen und ihren Weg zur Macht und somit zu den Gestaltungsmöglichkeiten in der Politik auf gebrochenen Wahlversprechen und der Ausrede mit den unsäglichen Realitäten und Sachzwängen aufbauen.
Wenn wir dies tun, haben wir die große Chance der möglichen Veränderung zum Besseren gemeinsam für die Menschen in diesem Land verspielt. Und das DARF nicht passieren.