Zwanzig Jahre PDS, drei Jahre LINKE: Eine Zwischenbilanz in West und Ost

Dieser Text erschien zuerst am 19. August 2010
Betrachtet man die vergangenen drei Jahre seit der in 2007 erfolgten Fusion von PDS und WASG zur Partei Die Linke, lassen sich durchaus Erfolge im Aufbau einer gesamtdeutschen Partei links der SPD feststellen. Gleichzeitig ist aber auch zu bemerken, dass grundlegende Konfliktfelder und auch der Unterschied zwischen West und Ost im Selbstverständnis was linke Politik in der BRD bedeutet und bewirken kann, weiterhin bestehen und sich eher verfestigt haben. Die vor allem innerparteilich geführten (und oftmals bewusst benutzten) Debatten um Personen, kurz- bis mittelfristige politische Entscheidungen und den programmatischen Kurs der Partei, sind Ausdruck dieser nicht aufgelösten Konflikte. Versuche mittels fragiler Kompromisse von Oben hier einen Burgfrieden zwischen den auseinanderstrebenden Teile der Partei zu etablieren, sind oft nicht tragfähig oder orientieren wie bei der Programmdebatte auf ein hoffnungslos niedriges gemeinsames Niveau.

Der Blick auf die Ergebnisse der Wahlen in den westlichen Bundesländern seit 2007 kann hier eine wichtige Orientierungshilfe zur Analyse des Zustandes der Partei und ihres künftigen Werdegangs sein. Wahlen sind in einem demokratischen System der Gradmesser für die Übereinstimmung der Positionen und der gelebten Politik von Parteien und den Erwartungen, Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung. Zufällige Umfragewerte wie eine 80% Zustimmung für den Rückzug aus Afghanistan, der auch als Position der Linken in ihren politischen Aussagen zu finden ist, taugen höchstens zur eigenen Mobilisierung und für kurzlebige Schlagzeilen, können aber nicht das Fundament weitreichender politischer Planung sein. Seit der Fusion zur Partei Die Linke in 2007 konnte bei jeder Landtagswahl im Westen (mit Ausnahme von Bayern in 2008) auch der Einzug in das Parlament gelingen. Es ist allerdings zu bemerken, dass die Wahlergebnisse bei genauer Betrachtung nicht das gesamtdeutsche Potential der Partei erreichen und eben gerade nicht als eine Art Selbstläufer des Krisenprotestes zu immer neuen Höhen aufsteigen. Genau das Gegenteil ist der Fall und dies ist, nach einem Blick auf die Machtstrukturen der Partei in den westlichen und östlichen Bundesländern, auch nicht weiter verwunderlich.

Bremen (2007)8,4%
Niedersachsen (2008)7,1%
Hamburg (2008)6,4%
Bayern (2008)4,4%
Hessen (2009)5,4%
Saarland (2009)21,3%
Schleswig-Holstein (2009)6,0% (zeitgleich mit der Bundestagswahl)
Nordrhein-Westfalen (2010)5,6%

Nimmt man hier den Sonderfall der Wahl im Saarland aus, stellt man fest, dass Die Linke zwar in die Landesparlamente der westlichen Bundesländern eingezogen ist, aber der Zuspruch der Wähler seit der Fusion und der damit verbundenen Aufbruchsstimmung sich auf ein niedriges Niveau eingependelt hat. Die breite Zustimmung von 11,9% bei der Bundestagswahl in 2009 und die immer noch stabilen Umfragen auf Bundesebene mit Zahlen zwischen 10 und 12% finden auf Landesebene bei Wahlen keine Entsprechung. So konnte Die Linke in Schleswig-Holstein bei den zeitgleich stattfindenden Bundestagswahlen 127.203 Stimmen auf sich vereinigen, was einer landesweiten Zustimmung von 7,9% entspricht. Für den Landtag stimmen dann am selben Tag nur noch 95.238 Wähler für Die Linke. In NRW konnte Die Linke in 2009 zur Bundestagswahl ein Ergebnis von 789.814 Stimmen (8,4%) erreichen, zur Landtagswahl ein knappes Jahr später stimmten nur noch 435.627 Wähler für die Partei. Obwohl diese Wahl eine wichtige Richtungsentscheidung für die zukünftige Politik im grössten Bundesland war. Nur das Wissen um den möglicherweise sofortigen Auszug nach einer Neuwahl hat die dortige Linke dazu veranlasst, eine Minderheitsregierung zu stützen und den Politikwechsel wenigstens indirekt mitzugestalten.

Es lässt sich – ohne die Ergebnisse der Wahlen in den östlichen Bundesländern im Detail zu betrachten – feststellen, dass Die Linke dort mit einem stabilen zweistelligen Wählerpotential etabliert ist und daraus auch immer eine Option der Mitgestaltung durch Mitregierung im konkreten politischen Handeln ableiten kann. Die jüngsten Rückschläge in der Umsetzung dieser Option (z.B. in Thüringen) sind nicht dem Verhalten der Verbände dort geschuldet, sondern eine Folgewirkung des Auftretens der Westverbände der Partei und des eingangs schon erwähnten fragilen Kompromisses zwischen den beiden Blöcken der Partei. Im Westen der Republik bietet sich ein anderes Bild der Partei, welches sich dadurch auszeichnet, dass von den beiden Strömungen Sozialistische Linke (SL) und Antikapitalistische Linke (AKL) dominierte Landesverbände nur noch mit einer Wählerzustimmung auf Dauer von knapp über 5 bis 6% rechnen können. Die angeführten Zahlen belegen diesen sich auf niedrigem Niveau stabilisierenden Trend hinreichend.

Nach der Fusion der alten PDS mit der WASG sind in den letzten drei Jahren die Westverbände fast komplett von fortschrittlichen und reformorientierten linksbürgerlichen Kräften „gesäubert“ worden und es hat sich eine Hegemonie alter Strukturen und Seilschaften aus ehemaligen DKP-, BWK-, Alt-West-PDS-Angehörigen und den neu über die WASG hinzugekommenen Mitgliedern aus der unteren Gewerkschaftsebene etablieren können. Der Nachwuchs wird hier über die gezielte Anwerbung und Einbindung junger Parteimitglieder über die trotzkistischen Strukturen von Marx21 (vorher Linksruck, jetzt in der SL aktiv) und im geringeren Masse der SAV sichergestellt. Die Partei stellt sich im Westen somit zunehmend als „Closed Shop“ dieser miteinander in einem Zweckbündnis verwobenen Strömungen und Organisationen dar, die mit den in Zukunft erzielbaren Ergebnissen um 5 bis 6% politisch und wirtschaftlich für sich überlebensfähig sind. Die Versorgung über Mandate, Funktionen und Stellen im Fraktions-, Mandatsträger- und Parteiapparat ist damit, wenn auch auf niedrigem Niveau, gesichert. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass innerparteilich keine Konkurrenz entstehen kann. Ziel kann also nur eine komplette Dominanz dieses linksreaktionären Blocks in den Westverbänden sein. Reformkräfte und vor allem das Forum demokratischer Sozialismus (FDS) sind fast nicht mehr politisch sichtbar und befinden sich, auf den ersten Blick, auch nicht in erkennbaren Planungen zur Erringung der Gestaltungsmacht (oder wenigstens gleichberechtigter Teilhabe) in den westlichen Landesverbänden.

Die Wirkung dieser Entwicklung in den westlichen Verbänden ist nach Innen und Außen gleichermaßen fatal. Innerparteilich kommt es zu einer Verfestigung linksreaktionärer Strukturen mit durchaus autoritären und antidemokratischen Zügen und daraus folgend einer noch massiveren Verdrängung linksbürgerlicher, reformorientierter Kräfte aus dem Parteikörper. Die Partei wird programmatisch auf Landesebene konsequent auf Klassenkampfrhetorik und von Revolutionslyrik geschwängerten Verbalradikalismus ausgerichtet und kann damit – über ihren Wählerstamm hinaus – keine Impulse für notwendige und weitreichende Reformen im System geben. Sie hat, durchaus gewollt, damit wenig Attraktivität für linksbürgerliche Kräfte und Intellektuelle und bietet keine Anknüpfungspunkte für freiheitlich-demokratische Bürgerbewegungen, Initiativen und vor allem auch SPD und Grüne als mögliche politische Partner. Eine Vergrösserung des Wählerpotentials und damit die Option zur Mitgestaltung ist auf diesem Weg vollkommen ausgeschlossen und auch nicht mehr nötig, da die Versorgung des eigenen Kaders auch mit Ergebnissen zwischen 5 bis 6% erreicht wird. Eine Weiterentwicklung der Partei im Westen wird so bewusst nicht betrieben und eine diffuse Verbalradikalität hat im Westen die intellektuelle Auseinandersetzung und Debatte um in der Zukunft nachhaltige Lösungsansätze im Rahmen eines freiheitlich-demokratischen Systems durch Reform des Bestehenden ersetzt. In der Folge wird die Problemlösungskompetenz vom Wähler auch weiterhin eher bei den etablierten bürgerlichen Parteien verortet.

Das Ziel der Westausdehnung der PDS als Die Linke ist allerdings damit, wenn auch auf einem bedauerlichen Niveau, nach 20 Jahren endlich erreicht. Der Preis dafür ist die bewusste Inkaufnahme der Spaltung der Partei in einen linksreaktionären Westen und einen reformorientierten Osten. Die Gefahr, dass diese Spaltung auch über das öffentlich erfahrbare inhomogene Bild der Partei auf Wahlergebnisse im Bund wirkt und eine Mitgestaltungsoption dort auf lange Sicht unmöglich macht, ist der Parteiführung sicher bewusst. Eine tatsächliche Lösung dieses dauerhaft schwellenden Gegensatzes ist allerdings schwer vermittelbar und bedarf wohlmöglich als Anstoss noch massiveren Stimmenverlusten bei den anstehenden Wahlen. Die jetzt ausbrechenden Differenzen in einigen westlichen Landesverbänden sind hier nicht als Beginn einer Kehrtwende in der Entwicklung oder eines zunehmend kritischen Parteikörpers misszuverstehen. Bayern und Rheinland-Pfalz befinden sich schon in der Vorphase der nächsten Landtwagswahlen und unter Berücksichtigung der zu erwartenden Ergebnisse ist der zu verteilende Kuchen auf den ersten Blick zu gering. Es ist aber davon auszugehen, dass auch dort SL und AKL ihr schon etabliertes Zweckbündnis umsetzen werden und sich über die trotz schlechter Ergebnisse dann immer noch mögliche Versorgung der Agierenden das System „West-Linke“ etablieren wird. Der niedersächsische Landesverband hinterlässt nach dem Abgang des langjährigen Vorsitzenden im November ein ohne ihn nicht mehr tragfähiges „Niedersächsisches Modell“ des Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Kräften des Verbandes. Diese Machtvakuum werden SL und AKL auch in Niedersachsen zu nutzen wissen, um den Verband zu dominieren und auf die für sie bewährte linksreaktionäre Schiene der Verbalradikalität umzusetzen. Knappe drei Jahre nach der Entstehung einer neuen Linken hat sich im Westen dann das damals noch mögliche Modell einer linken, fortschrittlichen Partei auch schon wieder überlebt.

Es stellt sich allerdings unter diesen Voraussetzungen immer noch die Frage, ob der heterogene und unorganisierte Teil der ins politische Abseits gedrängten linksbürgerlichen, reformorientierten Kräfte zusammen mit ihnen nahestehenden organisierten Teilen in der Partei (namentlich das FDS) noch Willens und in der Lage ist einen eigenen Anspruch an die Entwicklung im Westen zu formulieren und diesen Schritt für Schritt umzusetzen, um damit eine auf längere Sicht für linke Politik fatale Fehlentwicklung zu verhindern. Erschwerend zu bemerken ist aber, dass beide Teile der Partei keine wirkliche Antwort präsentieren können oder wenigstens den Diskussionsprozess darüber begonnen haben, wie auf die vor uns liegende Frage des Erodierens der Erwerbsarbeit als Quelle des persönlichen und gesellschaftlichen Einkommens positiv begegnet werden kann. In Teilen des reformorientierten Lagers ist immerhin ein Problembewusstsein hierfür erkennbar, im den Westen der Partei dominierenden Block der linksreaktionären Kräfte wird hingegen unbeirrbar an dem Fetisch Erwerbsarbeit als Quell der gesellschaftlichen Wohlfahrt festgehalten und lediglich die Organisation und Verteilung mit überkommenen Rezepten thematisiert. Wie sich unter diesen Betrachtungen die Partei Die Linke in den nächsten Jahren in West und Ost entwickeln kann und wird, bleibt offen. Der eingeschlagene Weg lässt aber befürchten, dass sie in ihrer Gesamtheit nicht Teil der Lösung der anstehenden Aufgaben sein kann, so sie sich nicht den innerparteilichen Konflikten offen stellt und diese im Sinne eines demokratischen, freiheitlichen und vor allem modernen Sozialismusansatzes und daraus folgend einer realen Politik für sich löst.
(mb)